Foto: Bild aus dem Atelier von "Wave of Hope"
Meine Zeit in Griechenland geht dem Ende zu, und im Lager „Moria 2“ (bzw. Mavrovouni) geht alles seinen schlechten Gang: Zuletzt gab es laut offiziellen Angaben ca. 40 positiv auf Covid-19 getestete Bewohner*innen, die zusammen mit engen Kontaktpersonen im Quarantänebereich des Lagers bleiben müssen. Geimpft sind weiterhin nur die wenigsten, und wirksam schützen kann man sich praktisch nicht. Es ist auf Lesbos im Moment außergewöhnlich heiß – besonders für die Menschen in den Zelten ist das wahnsinnig anstrengend. Und es gibt immer noch jede Menge Probleme, die die griechische Regierung durch ihre Massenkasernierungspolitik erst geschaffen hat – zum Beispiel die Situation der körperbehinderten Geflüchteten aus dem willkürlich geschlossenen Kara Tepe-Lager im neuen Camp, wie der Mainzer Arzt Gerhard Trabert auf Facebook berichtet.

Ich habe diesen Bericht am Dienstag auf Facebook geteilt. Am Mittwochabend habe ich dann einen Eritreer getroffen, den ich zwei Jahre zuvor in Pikpa kennengelernt hatte und der jetzt im Bildungszentrum „Mosaik“ von „Lesvos Solidarity“ arbeitet. Er hat mir erzählt, dass er den Mann auf den Fotos gut kenne: Ein zweifacher Vater aus Syrien, mit dem er nach der Räumung von Pikpa einige Zeit in Kara Tepe zusammengelebt hat. Er könne nur noch seinen linken Arm normal bewegen, mit dem Rollstuhl und den Krücken sei es für ihn in „Moria2“ eine einzige Qual. Trotzdem haben ihn die griechischen Behörden gemeinsam mit allen anderen Schutzbedürftigen mutwillig aus dem gut ausgestatteten „Kara Tepe“-Lager in die Zelte von „Moria2“ verbannt. Der syrische Vater kommt auch immer wieder ins „Mosaik“ – extra für ihn hat das Team dort eine Rollstuhlrampe gebaut.
Die strengen Ausgangsbeschränkungen in „Moria2“ gelten auch immer noch. Und die Transfers von anerkannten Geflüchteten aufs Festland gehen ebenfalls in hoher Geschwindigkeit weiter: Seit ich am 23. Mai auf Lesbos angekommen bin, ist die Zahl der Menschen im Lager um deutlich mehr als 1.000 Personen gesunken – auf jetzt weniger als 5000. Und auch die illegalen Pushbacks durch die griechische Küstenwache – das Aussetzen von neu angekommenen Asylsuchenden in türkischen Gewässern auf dem offenen Meer – gehen ungeniert täglich weiter: Tommy Olsen in Tromsö ist bei der Zählung dieser Verbrechen für „Aegean Boat Reports“ mittlerweile bei Nummer 460 angekommen. In diesem Fall wurden 44 Menschen, darunter viele Kleinkinder, auf dem Meer ausgesetzt. Allein im Juni hat er 35 illegale Pushbacks von insgesamt 865 Menschen registriert, 300 davon wurden hilflos auf dem Meer ausgesetzt, wie diese 84 Menschen am vergangenen Mittwoch.
Die Verzweiflung der Syrer*innen im Lager
Mich hat in den vergangenen Tagen besonders das Schicksal der Syrer*innen im Lager beschäftigt, und das kam so: Vor etwa zwei Wochen bin ich von dem Gemeinschaftszentrum „One Happy Family“ (dazu unten mehr) entlang der Küstenstraße zurück nach Mytilini gelaufen, und eine Strecke davon ging ich gemeinsam mit zwei jungen Männern aus Syrien, die mit ihren Familien seit knapp zwei Jahren in den Lagern festsitzen. Sie sprachen nur wenig Englisch, aber die entscheidenden Dinge habe ich verstanden: Die Asylanträge von beiden Familien waren in mehreren Instanzen abgelehnt worden, einen guten Anwalt hatte offenbar keiner, und als Folge der Ablehnungen erhielten sie schon monatelang keine finanzielle Unterstützung mehr. Und ihren Ausführungen entnahm ich, dass das praktisch allen der mehreren hundert Syrer*innen im Lager so geht.
Ich war überrascht. Denn dass sogar Syrer*innen in der EU systematisch abgelehnt werden, hatte ich nicht erwartet. Ich hatte noch die Entrüstung im Kopf, die ein paar Wochen zuvor Dänemark ausgelöst hatte, als es einigen Frauen und Kindern aus Damaskus den Flüchtlingsstatus entzogen und sie zur Ausreise aufgefordert hatte. So schlimm schon das ist: die zwei jungen Männer vor mir waren definitiv in Gefahr, in Syrien in die Armee eingezogen zu werden, die von Assad zu Unterdrückung und schweren Menschenrechtsverletzungen eingesetzt wird – nicht einmal die fremdenfeindliche Regierung in Dänemark hätte ihnen die Anerkennung verweigert. Aber Griechenland und die involvierten EU-Behörden tun das schon, und zwar mit einem Trick aus Deutschland, wie ich am nächsten Tag bestätigt bekommen sollte (und wie ich wohl auch hätte wissen können). Dieser Trick zur Aushöhlung des Asylrechts nennt sich „sicherer Drittstaat“ und wurde in den 90er Jahren von der Regierung Kohl erfunden.

Am nächsten Tag lief ich also zum Büro von Fenix in der Ermou, der Hauptstraße von Mytilini, die den alten mit dem neuen Hafen verbindet. Fenix ist eine der wenigen, überlasteten NGOs, die vor Ort Asylberatung anbieten. Eine der Beraterinnen, die zufällig am Eingang vorbeischaute, bestätigte das, was mir die Syrer erzählt hatten: dass die Syrer*innen gar nicht zu einem Asylverfahren zugelassen werden, weil sie praktisch alle schon in einem vorgelagerten „Zulässigkeitsverfahren“ abgelehnt werden – mit der Begründung, die Türkei sei für sie ein „sicherer Drittstaat“. Das ist zwar eine aberwitzige und juristisch nicht haltbare Behauptung (wie man ausführlich zum Beispiel hier in einem Rechtsgutachten von Pro Asyl oder hier bei der griechischen NGO Koraki nachlesen kann), wird aber trotzdem einfach so gemacht. Bisher hat das für die Syrer*innen, die manchmal schon jahrelang auf Lesbos festsitzen, keine Abschiebung zur Folge, da die Türkei seit Beginn der Covid-19-Pandemie jegliche Rückübernahme ablehnt. Die Beraterin bei Fenix sagte mir, erst Anfang Juni habe sie nun für diese Menschen Hoffnung geschöpft, nachdem EU-Kommissarin Johansson auf eine Anfrage des grünen Europaabgeordneten Erik Marquardt offiziell bestätigt hatte, dass in diesem Fall Griechenland das Asylverfahren durchführen müsse.
Doch keine Woche später, ausgerechnet an meinem Geburtstag, verkündete Griechenland einen noch viel drastischeren Anschlag auf den Flüchtlingsschutz in der EU: jetzt sollen nicht mehr nur Syrer*innen, sondern auch Afghan*innen, Somalier*innen, Pakistaner*innen und Bangladescher*innen ohne einen Blick auf ihre Fluchtgründe systematisch abgelehnt werden (zufällig sind das auch genau die Nationalitäten mit den meisten Asylanträgen) – was noch abstruser ist als bei den Syrern, siehe zum Beispiel für das Beispiel der Afghanen hier.

In einem Monat, am 28. Juli, wird die Genfer Flüchtlingskonvention 70 Jahre alt, der wichtigste internationale Vertrag zum Schutz von Geflüchteten. Doch in der EU arbeiten mehrere Regierungen (siehe auch Dänemark und Ungarn) derzeit eifrig daran, die in der Konvention festgeschriebenen Prinzipien pünktlich zum Geburtstag zu versenken. Und, wie man besonders am Beispiel der illegalen Pushbacks sehen kann: Die EU und wichtige Mitgliedsländer wie Deutschland schweigen nicht nur dazu, sondern legitimieren diese Verstöße gegen internationales Recht, indem sie pausenlos die sinkenden Ankunftszahlen als Erfolg feiern.

Was es mit Menschen macht, dauerhaft in so einer hoffnungslosen Lage festgesetzt zu werden, davon habe ich am Montagabend der vergangenen Woche eine kleine Ahnung bekommen. An dem Abend saß ich mit Salim, Mohammed und Hakim aus Syrien (Namen geändert) sonnenblumenkernkauend unter der Freiheitsstatue am Hafen von Mytilini. Während die Sonne hinter den Hügeln im Westen verschwand, erzählten mir die drei von ihren Familien: Salim von seiner 68-jährigen Mutter, die mit Diabetes, Bluthochdruck, Rheuma und einer Behinderung der linken Hand seit eineinhalb Jahren in „Moria2“ festsitzt. Mohammed zeigte mir Bilder von seinen Verwandten im Krankenhaus, nach einem Bombenangriff. Seine Mutter hat er bei dem Angriff verloren, sein kleiner neunjähriger Bruder verlor einen Fuß und fast sein gesamtes Augenlicht. Mohammed selbst sitzt auch schon ewig auf Lesbos fest – er hat schwere psychische Probleme, ist in Behandlung. Ihm ist anzumerken, dass er hadert mit seiner Situation. Ganz am Ende bittet mich Hakim, der bis dahin für alle übersetzt, aber überhaupt nicht von sich erzählt hat, zu einem kurzen Gespräch hinter die Statue. Es bricht aus ihm heraus, dass ihm alles zu viel ist, dass er nicht mehr könne, er fragt nach Unterstützung, besonders für andere Familien, denen es noch deutlich schlechter gehe. Besonders in diesem Moment wird mir klar: Diese Syrer*innen, die so viel durchgemacht haben und nun auf unabsehbare Zeit in diesem Elendscamp feststecken, sind psychisch am Ende.
Zusätzlich dazu, dass sich niemand in der EU für ihr Leid und die Traumata aus den Kriegserlebnissen überhaupt nur interessiert, kürzt man ihnen nach der Ablehnung nun auch noch jegliche finanzielle Unterstützung. Der EU geht es offenbar darum, diese Kriegsflüchtlinge zu zermürben und sie so lange unter Druck zu setzen, bis sie von alleine in die Türkei zurückgehen.
Am nächsten Tag erreicht mich dann ein Hilferuf über Whatsapp: Maya (Name geändert), eine 33-jährige Witwe aus Aleppo, die mit vier Kindern im Camp lebt, fragt nach einem Anwalt und nach Unterstützung, um ihre Kinder zu ernähren. Drei Tage später treffe ich sie mit den Kindern im Park neben dem Theater von Mytilini, Salim übersetzt. Maya erzählt, seit der Ablehnung im Asylverfahren sei nun schon monatelang die finanzielle Unterstützung blockiert – sie braucht Geld für Gesundheitsprobleme der Kinder, etwa eine Augenuntersuchung und eine Brille für die älteste Tochter. Das einzige, was sie noch bekämen, sei das schlechte Essen im Camp, das schon allen zu den Ohren heraushängt. Ich gebe ihr den Kontakt zu einer Rechtsberatungs-NGO und etwas von dem Geld, das mir eine Frau aus meiner Kirchengemeinde für einzelne Geflüchtete mitgegeben hat. Und ich weiß doch, dass es nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist. Salim erzählt mir kurz darauf von der nächsten Witwe mit sechs Kindern im Camp, der es ganz genauso ergehe.
Moria 3
Griechenland und die EU wollen diese Politik der Entmutigung und Zermürbung von Geflüchteten wie Maya nun weiter forcieren – in einem neuen Lager, das anders als Moria 1 und 2 die Asylsuchenden an den Außengrenzen für die Bevölkerung komplett unsichtbar machen soll. Nach dem Brand in Moria im vergangenen Jahr haben die EU-Kommission und die griechische Regierung ein „Memorandum of Understanding“ abgeschlossen, in dem sie vereinbaren, für 276 Millionen Euro aus EU-Geldern neue Hotspot-Lager auf fünf griechischen Inseln zu bauen, in denen jeweils Tausende Asylsuchende von der Registrierung bis zur Asylentscheidung bzw. bis zur Abschiebung kaserniert werden sollen. Das Vorbild für diese neuen Lager zur Isolierung der Menschen bis zur Rückführung kommt übrigens auch aus Deutschland: Es sind die ANKER-Zentren.
Die neuen Lager sind ein gemeinsames Projekt von EU und griechischer Regierung, aber die beiden Partner könnten kaum unterschiedlicher beschreiben, was sie da genau bauen (siehe etwa hier oder hier): Während die EU-Kommission in ganz Europa die PR-Version verbreitet, auf den Inseln entstünden offene Musterlager mit vorbildlicher Versorgung der Asylsuchenden, die ganz an deren Wohl orientiert seien (was meine Kollegen von Lesvos Solidarity sehr stark an die Worte erinnert, mit denen vor Jahren die Eröffnung von Moria als Musterlager angekündigt wurde), macht der griechische Migrationsminister Notis Mitarakis der genervten Bevölkerung auf den Inseln in aller Offenheit deutlich: Die neuen Camps werden geschlossene Lager sein, und ihr Hauptzweck sei, potentielle Neuankömmlinge abzuschrecken. Asylsuchende einzusperren, wäre zwar ein weiterer Bruch von Menschenrechten und internationalen Abkommen, und die EU dürfte ein solches Gefängnis überhaupt nicht finanzieren. Auf den leisen Protest aus Brüssel hin hat Minister Mitarakis nun seine Terminologie angepasst: statt von „closed camps“ spricht er nun von „closed-controlled camps“.
„Solidarity in action“
Besonders abstoßend finde ich die Sprache, mit der die EU-Kommission den Bau der Isolationslager anpreist: Die Umsetzung des gemeinsamen Pilotprojekts, so heißt es im „Memorandum of Understanding“, „setzt ein Exempel für Solidarität in Aktion“. Übersetzt heißt das: Die EU-Staaten und die Kommission arbeiten vorbildhaft zusammen, die Asylsuchenden künftig abzusondern, zu isolieren und wegzusperren.
Was tatsächlich geplant ist, kann man hier im Nationalen Migrationsplan 2020-21 auf Griechisch nachlesen und in Fotos anschauen, und die Initiative „Europe must act“ hat es in diesem Bericht detailliert auf Englisch aufgeschrieben: zweifache Ummauerung oder Umzäunung im NATO-Stil, durchgängige Videoüberwachung mit automatisierter Bewegungsanalyse und Alarmsystem, Drohnenflüge zur Überwachung, Kontrollschleusen mit Metalldetektoren und Röntgenscannern, zentrale Lautsprecheranlage, geschlossene Haftbereiche für Neuankömmlinge bis zur Registrierung und für Abgelehnte bis zur Abschiebung, für alle anderen eng begrenzte Ausgangszeiten mit Höchstquoten, außerdem keine NGOs mehr innerhalb der Lager.
Auf Samos ist die schöne neue EU-Lagerwelt schon fertig zum Bezug. Der Spielplatz dort sieht so aus:

So richtig bewusst wurde mir der Zweck des neu zu bauenden Lagers auf Lesbos erst, als Babis, der sich für „Lesvos Solidarity“ intensiv mit den Plänen beschäftigt, mir den Standort des geplanten Lagers auf Lesbos gezeigt hat. Das neue Lager für bis zu 5.000 Personen wird mitten mitten im Nirgendwo gebaut, im Binnenland am Ende eines 10 Kilometer langen Waldwegs, weitab von jeglicher Zivilisation (Google Maps zeigt mehr als zwei Stunden Fußmarsch quer durch ein verlassenes Waldgebiet bis zur nächstgelegenen Siedlung an). Es liegt direkt neben der größten Müllkippe der Insel.


Selbst wenn man den Bewohnern hier stundenweise Ausgang gewährt: Mehr als mit Bäumen sprechen können sie hier nicht. Die Absicht hinter dieser Ortswahl ist mehr als deutlich: Die Asylsuchenden sollen komplett isoliert, unter Kontrolle gehalten und für die Inselbevölkerung unsichtbar gemacht werden, Hilfe und Unterstützung durch die Zivilgesellschaft wird maximal behindert, von Integration ganz zu schweigen. Babis war vor Ort und hat Fotos und Drohnenaufnahmen gemacht:
Noch wurde mit den Bauarbeiten nicht begonnen, denn die Ausschreibung ist noch nicht abgeschlossen. Doch die Verträge mit den Landeigentümern stehen, und ein weiteres lästiges Hindernis haben die Behörden gerade beiseitegeräumt: Eine Umweltverträglichkeitsprüfung muss man laut Regierungsentscheidung plötzlich nur noch für Einrichtungen vorlegen, die für mehr als 5.000 Personen ausgelegt sind. Dabei könnte ein Brand an dem neuen Standort eine Feuerwalze auslösen, die der Nordwind im staubtrockenen Sommer durch das größte Waldgebiet der gesamten Region unaufhaltsam bis zur Südküste treiben könnte.
Maya hat mir zuletzt aus der Hitze des Lagers ein Video geschickt, wie sich ihr Sohn notdürftig mit einem Wasserschlauch abkühlt. Während ich das anschaue, denke ich: Wenn das neue Lager schon existieren würde, dann säße sie mit ihren vier Kindern wohl schon seit Monaten im geschlossenen Bereich für die Abzuschiebenden, vergessen irgendwo im Wald. Ein Treffen wie mit mir wäre wie genauso unmöglich wie jeder andere Kontakt nach draußen, Hilfe durch NGOs kaum vorstellbar. Vielleicht hätten sie dann einen Ventilator in ihrem Container, aber um sie herum herrschte die totale Hoffnungslosigkeit.

Was solche Lager in der Psyche der Menschen anrichten, das hat gerade vor wenigen Tagen Ärzte ohne Grenzen in dem Bericht „Constructing Crisis at Europe´s Borders“ noch einmal ausführlich dokumentiert: In den Jahren 2019 und 2020 hatten die Teams auf Lesbos und Samos mehr als 120 Kinder nach Suizidversuchen bzw. mit Suizidabsichten oder selbstverletzendem Verhalten in Behandlung. Allein auf Lesbos wurden in diesen beiden Jahren 456 Kinder mit psychischen Problemen behandelt. Unter den Patienten waren auch 50 Erwachsene, die einen Suizidversuch in den Lagern hinter sich hatten. Und der Bericht geht ausführlich auf die Pläne der EU für neue Lager ein.
Die EU behauptet, dass sie die Situation verbessern will, doch sie und die griechische Regierung geben Millionen Euro aus, um ihre Politik, die schon so viel Schaden angerichtet hat, noch weiter zu verschärfen. Das Lager Moria dient als Blaupause für das neue gefängnisähnliche Zentrum auf Samos. Dort sollen Menschen in Schiffscontainern festhalten werden, umgeben von Stacheldraht, mit kontrolliertem Ein- und Ausgang. Das kann man nicht als eine Verbesserung der Lebensbedingungen verkaufen. Stattdessen wird dieses Lager die psychische Gesundheit der Menschen weiter verschlechtern.“
Iorgos Karagiannis, Landeskoordinator von Ärzte ohne Grenzen in Griechenland
Eine australische Kollegin von Ärzte ohne Grenzen hat den Bericht mit den Worten auf Facebook gepostet: „Europe is following in our shitty, shitty Australian footsteps and wasting refugee and migrant lives on paradise islands.“ Und genau das passiert: Die EU bewegt sich in atemberaubenden Tempo auf die australische Asylpolitik zu, die sie selbst bislang immer als unmenschlich gebrandmarkt hat: Bootsflüchtlinge über lange Zeit hinweg in völliger Hoffnungslosigkeit auf isolierten Insellagern zu zermürben. Ärzte ohne Grenzen hat auch in einem dieser Lager dort, auf Nauru, einige Zeit lang psychologische Hilfe leisten können – und hat dort die schlimmsten psychischen Krankheitsbilder bei Kindern beobachtet, die die Organisation überhaupt irgendwo vorgefunden hat: Kinder, die sich komplett aufgeben, die nicht mehr spielen, nicht mehr sprechen, nicht mehr essen, die völlig apathisch herumliegen. Nauru sollte der EU eine Warnung sein: Sie ist auf bestem Wege dazu, in ihren Lagern noch mehr Kinderseelen zu schädigen.
146 Jahre Haft für einen Lebensretter
Und über noch ein Thema muss ich unbedingt schreiben, wenn es um düstere Entwicklungen in Griechenland und der EU geht: die zunehmende Kriminalisierung von Flucht, und allgemeiner: das gezielte Anheizen der öffentlichen Meinung, um Geflüchtete und NGOs zu Sündenböcken zu stempeln.
In der vergangenen Woche ist ein Urteil durch die Presse gegangen, das dafür exemplarisch steht: Vor zwei Wochen wurden vier Teenager, die angeblich das Feuer in Moria gelegt haben sollen, zu jeweils 10 Jahren Haft verurteilt. Schon zuvor waren zwei weitere Minderjährige zu je fünf Jahren Haft verurteilt worden. Die Gerichtsverhandlung fand – mit Covid-19 als Ausrede – ohne Öffentlichkeit statt, sogar Vertreter des UNHCR und Menschenrechtsbeobachter wurden nicht zugelassen. Die vorgelegten „Beweise“ für die Täterschaft hätten in einem normalen Verfahren sicher nicht zu einer Verurteilung ausgereicht, ganz zu schweigen von dieser Höhe: Der einzige Zeuge, der die sechs Beschuldigten identifiziert haben will, ist seit Monaten unauffindbar – es war ein anderer Asylsuchender, der nach seiner Aussage einen positiven Bescheid erhielt und irgendwo in Europa verschwand.

In Moria hat es immer wieder gebrannt, aus den verschiedensten Gründen. Jeder, der beobachtet hat, wie die griechische Regierung die EU die ohnehin schon entsetzlichen Zustände in den Monaten vor dem Brand immer weiter verschlechtert und die Krise immer weiter eskaliert haben (zunächst, indem man die Zahl der Bewohner auf einen nie dagewesenen Höchstwert von mehr als 22.000 ansteigen ließ, und dann, indem man während der Covid-19-Pandemie die Bewohner über viele Monate praktisch komplett einsperrte), der wusste, dass das nicht lange gutgehen konnte. Doch wenn die Lage dann eskaliert, dann sucht man sich Sündenböcke unter den Geflüchteten, die mit drakonischen Strafen abgeurteilt werden.
Die Höhe dieser Willkürurteile gegenüber den Betroffenen hat längst jedes Maß verloren: Ende April wurde etwa ein syrischer Kriegsflüchtling zu 52 Jahren Haft verurteilt, weil er das Boot gesteuert haben soll, in dem er auf Chios ankam. Im Mai wurde ein 27-Jähriger, der nach Aussagen seiner Mitgeflüchteten durch sein beherztes Eingreifen während einer Seenotsituation mehrere Menschenleben gerettet hat, gar zu 146 Jahren Haft verurteilt. Als wollte er ihn noch verhöhnen, fragte ihn der Richter während der Verhandlung: „Warum haben Sie nicht einfach ein Ticket gekauft und sind mit der Fähre nach Griechenland gekommen?“ Im November haben mehrere Organisationen in einem Bericht 48 solcher Fälle zwischen 2014 und 2019 dokumentiert, in denen Geflüchtete auf der Grundlage vager Annahmen und einer drakonischen Gesetzgebung als angebliche Schleuser verurteilt wurden – zu einer durchschnittlichen Haftstrafe von 49 Jahren plus einer durchschnittlichen Geldstrafe von 400.000 Euro.
Und in manchen Fällen kann man über die menschliche Kälte nur noch den Kopf schütteln, mit der Geflüchtete nach schwersten Schicksalsschlägen verhaftet und angeklagt werden: Im November wurde ein am Boden zerstörter Familienvater, der gerade seinen Sohn auf der Überfahrt verloren hatte, in Handschellen zur Identifizierung der Leiche seines Sohnes abgeführt, eingesperrt und angeklagt, weil er den Tod des Sohnes durch die Flucht fahrlässig selbst verschuldet habe. Im Februar erhielt eine hochschwangere Frau im Lager „Kara Tepe“, die sich aus Verzweiflung selbst angezündet hatte, nicht etwa psychologische Hilfe – sie wurde wegen Brandstiftung angeklagt, ihr drohen zehn Jahre Haft.
Und die willkürliche Kriminalisierung richtet sich längst auch gegen NGOs – ganz besonders gegen diejenigen, die sich mit Seenotrettung, dem Empfang von Geflüchteten an der Küste oder der Dokumentation illegaler Pushbacks beschäftigen. Größere Bekanntheit erreichte schon vor Jahren das Verfahren gegen Sarah Mardini und mehrere Aktive der Rettungsorganisation ERCI, mittlerweile ist es kaum mehr möglich, den Überblick zu behalten. Eines der absurdesten aktuellen Ermittlungsverfahren richtet sich gegen 35 Personen und 4 NGOs, vor allem gegen die Berliner Organisation „Mare Liberum“, die mit einem Schiff in der Ägäis versucht, die Situation auf der Ägäis zu beobachten und illegale Pushbacks zu dokumentieren. Die Polizei hatte das Schiff zuvor ohne Darlegung der Rechtsgrundlage gestürmt, Mitarbeiter*innen festgehalten und verhört. Die genauen Vorwürfe liegen im Dunkeln, in an Medien durchgestochenen Berichten werden aber absurde Kapitalverbrechen wie Gründung eines Menschenhändlerrings und einer kriminellen Organisation und Spionage konstruiert – und die Behörden gehen in den Ermittlungen wie gegen Schwerverbrecher vor, mit Telefonabhören, Observationen und dem Anwerben von Migranten als Agenten.

Alle Unterstützer und Journalisten die mit neu angekommenen Geflüchteten zu tun haben, werden mittlerweile unter Generalverdacht gestellt und müssen mit Ermittlungen und Schikanen rechnen (wie generell die Pressefreiheit auf den griechischen Inseln immer weiter eingeschränkt wird, beschreibt die auf der Insel lebende Journalistin Franziska Grillmeier hier). Auf Lesbos ist es mittlerweile so, dass jeder, der auf neu angekommene Geflüchtete trifft, sich auf mehrere Tage auf der Polizeistation einstellen muss. Die massive staatliche Drangsalierung und Einschüchterung ist ein Hauptgrund dafür, dass es mittlerweile keine NGOs mehr gibt, die an der Nordküste neu ankommende Schutzsuchende in Empfang nehmen.
Und auch unterhalb der Schwelle von Strafverfahren haben die Aktivisten, Unterstützer und NGOs, die sich noch immer für Geflüchtete einsetzen, mit mannigfaltigen Behinderungen, Diffamierungen, Drohungen und Angriffen zu tun – oftmals direkt unterstützt von Politikern der Regierungspartei. Auch Lesvos Solidarity sah sich nach der Räumung von Pikpa massiver Diffamierung des Bürgermeisters in Lokalzeitungen ausgesetzt (hier die Antwort der Organisation) – sowie angedrohten Strafzahlungen in Millionenhöhe wegen Schwarzbauten im Pikpa-Camp. Es stellte sich dann heraus, dass die angeblich von „Lesvos Solidarity“ ohne Genehmigung gebauten Häuser schon in den 70er Jahren vom den Behörden errichtet worden waren – aber öffentlich korrigiert hat der Bürgermeister die falschen Vorwürfe nie. Eine weitere Schikane, mit der die Regierung den NGOs und Solidaritätsgruppen auf der Insel das Leben schwer macht, sind zwei Erlasse speziell für Flüchtlings-NGOs, die außerordentlich umfassende Vorgaben zur Registrierung und Zertifizierung als Vorbedingung fürs Weiterarbeiten machen, die manche Gruppen kaum erfüllen können (ausführlichere Infos dazu hier). Bei Lesvos Solidarity sind derzeit zwei Mitarbeiter*innen seit Monaten ausschließlich damit beschäftigt, alle Unterlagen für die geforderte Zertifizierung zusammenzustellen.

Einer der Dinge, die mich in meiner Zeit auf Lesbos aber am meisten erschreckt haben, ist das Ausmaß des Stimmungsumschwungs in der Bevölkerung – zumindest so, wie es diejenigen wahrnehmen, die sich weiterhin vor Ort für Geflüchtete engagieren. 2015 galt Lesbos als „Insel der Solidarität“, die Geflüchteten wurden mit offenen Armen empfangen und die Bewohner waren stolz darauf, dass sie Hilfe organisierten, noch bevor die großen NGOs kamen. Ich habe zum Beispiel eine 84-Jährige getroffen, die vor sechs Jahren wochenlang einmal in der Woche in ihrer kleinen Küche Dutzende Mahlzeiten gekocht hat, die ihre Kirchengemeinde dann verteilt hat. Aber mittlerweile hat sich die Stimmung bei der Mehrheit komplett gedreht. Der Krankenhausdirektor hat meinem Kollegen etwa von einer Mitarbeiterin erzählt, die 2015 nach einer sehr schwierigen Geburt einer geflüchteten Frau enthusiastisch das wohlbehalten geborene Baby gefeiert hat – heute spricht sie von einer Invasion der Migranten auf die Insel. Man ist einfach genervt von der Dauerkrise, NGOs gelten vielen als Schimpfwort. Die Rhetorik der Regierungspartei und wichtiger Medien, die Geflüchtete zu Wirtschaftsmigranten und zu einer Bedrohung erklären und die NGOs zu Profiteuren und Verursachern der Krise, hat offenbar ihre Spuren hinterlassen. Vor allem aber wohl die Erfahrung, von der EU komplett im Stich gelassen zu werden.
Ich habe in diesen Wochen von meinen Kolleg*innen öfter den Satz gehört, Lesbos habe sich von einer Insel der Solidarität in eine Werkstatt zur Erzeugung von Faschismus entwickelt. Beim Stichwort „Faschismus“ bin ich immer ein wenig zusammengezuckt und habe mir anfangs gedacht: Das ist wahrscheinlich doch ein wenig übertrieben – aber ich habe im Laufe der Wochen diese Sorge viel besser verstanden. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es im Laufe der Jahre immer wieder rechtsradikale Angriffe gegeben hat – mit dem absoluten Tiefpunkt im März 2020: Nachdem Recep Tayyip Erdogan die Grenzen der Türkei zu Griechenland für geöffnet erklärt hatte, mobilisierten sich Rechtsradikale aus ganz Griechenland (und sogar aus noch aus Deutschland) zur „Verteidigung der Grenzen“, es gab Straßensperren, Brandanschläge und gewaltsame Angriffe auf Geflüchtete, auf NGO-Mitarbeiter und Journalisten, die Situation war einige Tage außer Kontrolle. Einige, die damals angegriffen wurden, haben die Situation damals als pogromartige Stimmung bezeichnet.
Die Solidarität geht weiter
Aber das ist wiederum nur die eine Seite der Geschichte – denn auf der anderen Seite habe ich auch ganz viel Energie und Engagement und Zuversicht in einer trotz aller Hindernisse weiterhin unglaublich aktiven Zivilgesellschaft gespürt. Es ist immer noch unmöglich, die ganze Vielfalt der vielen Initiativen, Gruppen, Einzelpersonen und Organisationen abzubilden, die sich auf die verschiedensten Arten mit den und für die Geflüchteten engagieren. Und ständig kommen neue Volunteers aus allen Kontinenten – mit mir im Haus hat nach Jonathan aus den USA und Henry aus Nigeria schließlich auch noch Julian aus der Schweiz gewohnt. Ich hatte mit Menschen Kontakt, die die Wäsche der Menschen im Lager waschen, die dort Handwaschstationen betreiben, mit Geflüchteten Fahrräder reparieren, für sie Wohnungen suchen oder renovieren, Sprachkurse geben, sie rechtlich beraten, für sie einen Gratis-Onlineshop eingerichtet haben, die jeden Tag mit ihnen und für sie kochen oder jonglieren üben – ein Kinderzirkus aus Berlin war auch gerade da. Und während die Covid-19-Infektionszahlen sanken, hatte ich das Gefühl, dass überall an neuen Plänen und Aktivitäten gebastelt wird.
Neu zum Leben erwachen sehen habe ich zum Beispiel das „One Happy Family“-Zentrum, das auf dem Hügel oberhalb von „Moria2“ seinen Standort hat: Nach mehr als einem halben Jahr Lockdown konnte dort am 14. Juni das Programm mit reduzierter Besucherzahl wieder starten. „One Happy Family“ (OHF) besteht aus einem bunten Gelände um eine ehemalige Lagerhalle, in der und um die herum in Continern, Holzhütten, alten Bussen etc. die verschiedensten Angebote entstanden sind. Die Philosophie von OHF ist es, einen geschützten Raum zur Verfügung zu stellen, in der verschiedenste Menschen und Gruppen gemeinsam mit den Geflüchteten Aktivitäten entwickeln können. Es gibt dort Schulen und Klassenzimmer, eine große Fahrradwerkstatt und einen Permakultur-Garten, einen Beachvolleyballplatz und einen Lesebus, einen Computerraum und eine Cafeteria und einen Tonbrennofen und vieles mehr… Mehr als 20 Initiativen veranstalten dort ein buntes Programm, vom Film-Workshop bis zu „Yoga and Sports with Refugees“.
Oder „Home for all“ bzw. „Nikos und Katerina“, als die sie auch bekannt sind. Nikos und Katerina betreiben an einem schönen Flecken am Golf von Gera ein Restaurant, etwa zehn Kilometer vom Lager entfernt. Und sie haben einfach angefangen, dort für und mit geflüchteten Familien, unbegleiteten Minderjährigen und Frauen zu essen und zu kochen, Musik zu machen und verschiedene Aktivitäten zu starten – solange die Coronalage das erlaubt hat. Ich bin bei meiner Fahrradtour dort kurz vorbeigefahren und habe Nikos getroffen. Und er hat mir erzählt, dass sie nun gemeinsam mit Volunteers fast jeden Tag mehr als 1.000 Mahlzeiten kochen und ins Camp bringen, und dass sie mittlerweile auch neun Wohnungen für Familien betreiben, die so aus dem Lager ausziehen konnten.
Oder die „Wave of Hope“-Schule, eine von Geflüchteten im Lager Moria gegründete Schule, die mittlerweile Ableger in mehreren anderen Flüchtlingscamps in Griechenland, aber auch eine Schule in Afghanistan eröffnet hat. Auch die „Wave of Hope“-Lehrer konnten nun im Lager Moria selbst, aber auch bei „One Happy Family“ wieder Kurse in Englisch, Griechisch, Deutsch, Französisch, Musik, Kunst und Kunsttherapie sowie Aktivitäten für Kids und ein Fußballteam starten. Seit einiger Zeit gibt es sogar ein Atelier der Inititative im Zentrum von Mytilini, in dem praktisch immer gemalt wird. Ich war ein paarmal dort und habe jedesmal die zahlreichen Gemälde bewundert, die dort in erstaunlicher Geschwindigkeit entstehen, und die dann meist von den Künstlern im Internet versteigert werden. Hier kann man die Bilder der Künstler aus Moria 2.0 ersteigern und sich zuschicken lassen.
Und natürlich Lesvos Solidarity. Im Mosaik-Bildungszentrum schien mir bei meinen Besuchen jedes Mal ein bisschen mehr Betrieb zu sein – alle bereiten sich darauf vor, die Kurse wieder aufzunehmen. Als neues Verarbeitungsmaterial für die wasserdichten Taschen der „Safe Passage Bags“-Werkstatt hat das Team erst gestern wieder ein Schlauchboot am Strand ausgebuddelt. Und das Team in Asklipios kümmert sich weiter um die Frauen in dem Haus für schutzbedürftige Geflüchtete, in zwei weiteren Häusern wird im Juli die Renovierung beginnen, um auch sie für Geflüchtete herzurichten. Im Programm für psychosoziale Gesundheit laufen bisher ein Empowerment-Workshop für Frauen und ein Theater-Workshop, viele weitere sollen folgen. Die Kolleg*innen, mit denen ich stark zusammengearbeitet habe, werden sich weiterhin gameinsam mit anderen Initiativen auch auf politischer Ebene engagieren, um der zunehmenden Isolierung der Geflüchteten wie im neu geplanten EU-Hotspot und der Fremdenfeindlichkeit entgegenzuwirken.

Spenden an Lesvos Solidarity kann man hier oder (bei Angabe von Name und Adresse auch mit Spendenquittung) über meine Gemeinde (wichtig: mit Verwendungszweck „Flüchtlingshilfe Griechenland“).
Solange diese ganzen Initiativen zur Integration und zur Solidarität weitergehen, so lange haben die Bemühungen, Europa zur Festung gegen Geflüchtete auszubauen, nicht gewonnen. Ich finde, Efi Latsoudi, eine der Gründerinnen von Lesvos Solidarity und unermüdliche Kämpferin für Solidarität, hat die Situation in diesem für eine Spendenaktion einer Berliner Kirchengemeinde aufgenommenen Video sehr gut beschrieben:
„Wir arbeiten seit vielen Jahren direkt vor Ort und haben viele Krisen und Bedrohungen aus der Politik erlebt. Wir haben im Jahr 2015 die Solidarität der Menschen wie ein Wunder erlebt. Es war ein Wunder, das Leben gerettet hat und das auch den Stolz Griechenlands gerettet hat. Wir wissen aus unserer praktischen Arbeit, dass Solidarität eine Lösung ist. Es ist eine Lösung und die einzige Hoffnung für unsere Zukunft. Wir als „Lesbos Solidarity“ glauben, dass wir dies schützen müssen. Wir müssen uns wieder auf unsere Werte und Prinzipien besinnen. Die Inseln sind im Moment wegen der Politik, die hier umgesetzt wird, der Gefahr von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und Faschismus ausgesetzt. Wir müssen dagegen ankämpfen. Der einzige Weg, um zu widerstehen, ist es, sich zu vernetzen, die lokale Bevölkerung miteinzubeziehen und mit ihnen enger zusammenzuarbeiten und sich mit der internationalen Community zu verbinden, die von ihren Politikern etwas anderes erwarten. Wir glauben, dass unsere Arbeit so stark gefährdet ist wie noch nie. Wir müssen weitermachen!“

… und was ist aus den Geflüchteten geworden, die ich im vergangenen Monat getroffen habe?
Aminata und Abdoulaye mit der kleinen Josette haben mit viel Mühe Dokumente aus Gambia besorgt und einen Anwalt gefunden, der damit nun versucht, den negativen Asylbescheid anzufechten.
Abdul und Rabia und ihre drei Kinder haben in Deutschland die Quarantäne hinter sich gebracht und werden nun wohl in eine Erstaufnahmestelle gebracht, während ihr Asylantrag bearbeitet wird.
Salim aus Syrien hat es als blinder Passagier auf einer Fähre nach Athen geschafft.
Mohammed hat einen Termin bei der Rechtsberatung des „Legal Centre Lesvos“, um gegen seine Nicht-Zulassung zum Asylverfahren in der EU zu klagen.
Hakim hat neulich seine Mutter ins Krankenhaus gebracht, der es im Lager gesundheitlich sehr schlecht geht. Er hat mich vor meiner Abfahrt noch extra verabschiedet.
Maya und ihre vier Kinder warten weiter in der Hitze von „Moria2“.
Und Pikpa, das Lager, das acht Jhre lang mehr als 30.000 Schutzsuchenden in Europa eine erste Zuflucht geboten hat, das eine Alternative war – und weiterhin ist – für die von der EU forcierten Abschreckung in Massenlagern? Vor einigen Tagen hat sich die Lokalzeitung ein Bild gemacht, was der Bürgermeister aus dem Lager gemacht hat, der im Wahlkampf versprochen hatte, es den „griechischen Kindern zurückzugeben“: Gras wächst über das Gelände, es ist vernachlässigt und Brände drohen, an ein paar Stellen beginnender Vandalismus. Aber die bunten Farben von 8 Jahren Solidarität sind noch immer sichtbar.